Die Scrollschrift trifft auf eine alte Designpraxis: Zerstöre alte bekannte Iconografien/Designsysteme – hier die Schrift – und mache es fremd und „neu“

Durch die Designpraxis des Eröffnens des Körpers der Schrift (Zerstörung der Integrität) wird ein schon ausgeklügeltes und verwendetes Designsystem neu nutzbar gemacht. Es ist in einem gewissen Sinn „recycelbar“ geworden. Durch die Technik entsteht ein neues Design, das zwar an ein Altes erinnert aber auch gleichzeitig wiederum fremd ist und auch damit assoziert wird. Siehe das Beispiel oben.

Diese Technik erinnert auch stark an Kollagentechniken oder an eine bestimmte Art von Graffiti.

Eine radikale materielle Befreiung findet sich aber vor allem in den Graffiti der Neuzeit ab den 1970er Jahren. In Form von ‘Pieces’ entrissen sie die Buchstaben dem Raster und der Norm und erfanden sie neu bis zur Unleserlichkeit. Faszinierend sind die zahlreichen Parallelen zu den gezeichneten Initialen der Handschriften, die in klösterlichen Skriptorien im Mittelalter entstanden sind. (Suter, unpubliziert)

Das wurde vorallem in den 90er Jahren auch technisch möglich durch Grafikprogramme wie Photoshop, die Schriften als Pixel manipulierbar machten. Es war ein leichtes ausgeklügelte Schrift-Welten zu zerstören. Selbstverstädnlich konnte man ähnliche Effekte auch mit DTP-Programmen wie PageMaker/QuarkXPress erzeugen, allerdings waren solche Effekt nur mittels Abdecken mit Ebenen möglich. Photoshop hingegen erlaubte auch das digital physische Zerstören von Schriftzügen. Siehe allgemein dazu auch David Carson und seine Schriftgestaltung, die auch Züge von Zerstörung von Schriftzügen hatte und deswegen auch von einigen Designern* angefeindet wurde – zu recht aus ihrer Perspektive – aber die Frage ist eher: Gibt es nur diese Perspektive?

Hier ein eigenes Beispiel aus der Zeit bei http://cyberfiction.ch

Diese Designtechnik arbeitet damit, dass es eine Transformationsmatrix (Im Scrollingtext nur ein Cut und eine Verschiebung) gibt, die aus Bekanntem unbekannt Bekanntes macht. Die Schrift ist dabei fast noch lesbar, wenn man weiss, dass es sich um Schrift handelt (TH deutet darauf hin). Der Rest des Textes könnte irgendwas sein mit einem „R“ darin.

Vielleicht ist diese Designtechnik auch eine visuelle Puzzletechnik und damit eine Spielmechanik: Finde das Orginal, die Orginalmessage oder bei Graffitis das Orginalogo, das so verfremdet ist. Dieser Aspekt spielt zumindest bei Carson eine tragende Rolle, die Message, der Text ist zuerst immer irgendwo versteckt und trotz des Versteckten bleibt es irgendwie lesbar. Es ist also die Suche nach dem Lesbaren im Dschungel von Text.

Als Scrollschrift sieht das ganze dann so aus.

Ist es eine Unterform von Mukokuseki? Eventuell ist es auch eine andere eher paralelle Technik. Das Zerschneiden verhindert zwar auch das Erkennen der Herkunft, aber es ist so radikal, dass die Herkunft mehrheitlich verhüllt und das einzelne Stück gar keinen eigenen – ausser einem visuellen – Wert mehr hat. Es ist eher ein Hauch. Aber selbstverständlich gibt es Momente, die als Mukokuseki funktionieren.

Anbei eine Version, die auflöst, was man da gerade sieht bzw. sucht: den Text am linken Rand – entzaubert.

Eine ältere Version und ‚verständlichere‘ Version findet sich hier

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