In den 90er Jahren entstand nach der Erfindung des WorldWideWebs langsam eine neue Platform für Spiele, hier WebGamePlatform genannt. Wie entwickelte sich diese? Wie unterscheiden sie sich und welche Spiele finden sich im CHLudens-Korpus dazu?
// Siehe dazu auch hier https://research.swissdigitization.ch/?p=7020
„Vorgänger*“-Systeme
Selbstverständlich gab es schon immer Spiele, die an Telefonleitungen oder im Internet (IP-Based) standen. Angefangen bei Spielen für Mainframes wie etwa Plato Systems etwa das Leiterlispiel an einem ETH Rechner remote (siehe Interview CHLudens Korpus), Später MUDs (zu CH-MUDs siehe hier https://vintagecomputing.ch/?browseid=9291), direkt Telefon basierte Spiele (vor Ort anrufen) oder dann Spiele für BBSen (DoorGames).

Siehe dazu auch das Interview mit Roger Sieber, der in CH ein solches Spiel lange betrieb. All diese Plattformen waren mehr oder minder proprietär. Klar gab es einen VT52 Standard etwa bei BBSsen, Aber diese Systeme waren mehrheitlich festdefinierte einfache FrontEnds ohne eigene FrontEndLogik.
WorldWideWeb kurz Web
Dies änderte sich mit dem WWW zuerst einmal nicht. Es war ebenfalls ein Frontend mit eigenen interaktiven Möglichkeiten wie Links und Forms.

// Mosaic Browser https://en.wikipedia.org/wiki/NCSA_Mosaic
Dieses Frontend unterschied sich dann aber doch stark. Es war ein offener Standard. Es basierte auf Text mit Tags und wurde dadurch zum Hypertext. Es war unabhängig von einem System, es ermöglichte das Verlinken über einzelne Server hinaus. Die Auflösung des Systems war nicht definiert und konnte sich sogar während des Betriebs ändern. Der Text konnte auch unendlich lang sein, da der Content scrollbar war. Kurz und gut das Frontend war auch veränderbar.
Das heisst, die Darstellung war nun virtualisiert im Vergleich zu klassisch proprietären Systemen.
HTMLWebGames
Mit rein statischem HTML können nicht sehr viele Arten von Games gemacht werden. Dennoch gibt es auch kleine Games, die nur als Hypertext funktionieren. Das grösste Problem ist dabei natürlich der Back-Button.
Im erweiterten Bereich kombiniert mit einer Datenbank dahinter, entstehen bald die ersten bekannten Spielewelten, die schnell wachsen zu riesigen MMOs. Sie nutzen das Web klassisch als Frontend. Jeder Spielzug wird geschickt und wieder aktualisiert – so wie das bei der Konzeption von Tim Berners Lee gedacht war.
JavascriptWebGames (1995+)
Eigenständiger im Frontend wird das Web auch durch die Einführung von Javascript 1995. Dadurch war es möglich nun dynamisch kleinere Anpassungen zu machen. Bilder auszuwechseln etc. Mehr dazu hier: https://en.wikipedia.org/wiki/JavaScript
Im CHLudens Corpus findet man hier etwa ein Tetris. Siehe „Imp89-WebGames chronologisch (Shockwave, JavaApplets, Flash)„.

Durch diese Spiele wird das Web auch zur klassischen Spieleplatform. Hier können Spiele gesucht, gefunden und gespielt werden, frei von irgendwelchen proprietären Restriktionen. Selbstverständlich ist das eine Idealvorstellung, da zu dieser Zeit viele Browserhersteller etwa Microsoft mit seinem InternetExplorer ihre eigenen Standards wie ActiveX versuchten durchzusetzen.
Dabei sind diese Spiele (sofern sie sich an allgemeine Standards halten, nun virtualisiert, unabhängig vom „Darunter“.
Javascript wurde weiter ausgebaut in den Jahren danach.
Gerade die Möglichkeit Dinge (ajax) nachzuladen nach dem ersten Laden ermöglichte nun interaktive Seiten. Hier entstanden dann Spielclusters wie https://en.wikipedia.org/wiki/OGame 2002+
2008 bekam etwa auch ein Canvas spendiert, in das nun gezeichnet werden konnte. Seither ist Javascript (mit all ihren Beschleunigern / Compilern) zum eingebauten Hauptstandard für interaktive Inhalte geworden. Durch Beschleuniger und InstantCompiler können fast alle Arten von Applicationen ausgeführt werden.
PluginWebGames (VMs)
Folgende Plugins/AddOns (wobei JavaApplets eigentlich kein Plugin waren) erweiterten den HTML-Standard. Dadurch konnte das Web nur noch als Container genutzt werden, um darin interaktive Games zu machen. Dabei nutze man quasi die HTML-Möglichkeiten für Darstellung, Verbreitung, Präsentation, Erreichbarkeit und setzte die Games darin ein.
Allen vorgestellten Plugins ist gemeinsam und quasi Grundvoraussetzung, dass sie mit einer VirtuellenMaschine arbeiten. Das heisst der Code wird von einer eigenen Maschine ausgeführt, die es nur virtuell gibt und die das dann weitergibt an den Browser, der es ausführt und erst dann wird es vom Prozessor des Systems ausgeführt.
Diese VirtuellenMaschinen ermöglichen es nun auch selbst das Spiel zu sein (intern) und darüber hinaus im Hintergrund wiederum Dinge aufzurufen und abzufragen etwa Datenbankservices oder Webseiten (backoffice).
JavaApplets
JavaApplets können ganz simple Spiele sein. Im Fall von IMP89 ein Breakout wie Krakoid, Volfied-like oder sie werden mit Argument/Daten gefüttert, um etwa User generierten Content als Spiel darzustellen, diese findet man etwa bei Imp89-Online games bei breoid oder WebGrotic. Siehe dazu hier: https://research.swissdigitization.ch/?p=7020

Macromedia Director/Shockwave 1995+
Director stellt eines der ersten Plugins zur Verfügung, um die Inhalte ihres Autorensysteme auf dem Web zu veröffentlichen.
Ein Beispiel bei Imp89 wäre etwa Xamoids: https://research.swissdigitization.ch/?p=7020
Macromedia Flash (.SWF)
Flash verdrängt sehr schnell Director/Shockwave, auch weil es (so Wikipedia) weniger Speicher braucht und einfach nicht so ein Riesending ist wie Director – spätestens nach der Übernahme von Macromedia durch Adobe endet Director/Shockwave.
Hier entstehen wiederum Standalonespiele und Datenbankenhancte/Backoffice Spiele. Das sicherlich wichtige datenbankgesteuerte-involvierte Genre ist das der SocialMedia Spiele wie Farmville und Co.


Severin.ch ist ein Vertreter der Standalonespiele. Severin stellt um 2000 einige Flash games her – mit auch sehr politichem Hintergrund. Man kann mit Wasserwerfer an die Demos etc.

severin.ch 2002+ https://web.archive.org/web/20050804000858/http://www.severin.ch
Siehe dazu auch das CHLudens Interview.
VML 1997+
Ein ebenfalls anfangs wichtige Errungenschaft ist VMRL. Das ist eine Erweiterung für HTML, um 3D erstellen zu können. Leider ist VRML langsam und orientiert sich mE allzusehr an Virtueller analoger Realität. Es verschwindet auf jeden Fall sehr schnell wieder.
https://en.wikipedia.org/wiki/VRML

Ein Spiel in VRML ist aus der Schweiz nicht bekannt.
Zukunft 2000+
Viele Plugins verschwinden dann auch wieder, weil sie oft unsicher sind. Es gibt auch zunehmend mehr Erweiterungen für Javascript etwa ein Canvas oder JustInTime Compiler ebenfalls für Javascript. Später auch WebGL. Langsam löst dann Javascript das Erbe von Flash und Co ab, spätestens als Steve Jobs auf dem iPhone Flash verbietet.
Siehe dazu auch: https://www.molleindustria.org/blog/gone-with-a-flash-talk/
All_In: WebGamePlatform – Operating System für Games
Die Technologie dahinter interessierte natürlich ab 2000 mehrheitlich nur noch die Entwickler*. Das Web wurde zur eigenen Spieleplattform wie andere Systeme auch wie Windows, der Mac oder dann die grossen Platformholder wie Nintendo, Sony.
Web, das neue Operating System
Es entstand also alles zusammengenommen ab 1993 diese eigene Plattform fürs Gaming, die weitgehend virtualisiert bzw. nur noch in Browsern funktioniert. Das Betriebssystem darunter spielt keine besonders wichtige Rolle mehr. Der Weg wäre also frei für eine Industrie ohne Platformnaheprogramierung. Es ist passiert, wie es einst Netscape verkündete „Wir wollen Windows zu einer Treiberplattform machen“. Es sah nach Zukunft aus.
Web vs. Plattformholders: Monetarisierung
Die Realität holte diese Zukunft aber auf verschiedene Arten ein. Zum einen war alles virtuell von Auflösung, Bildschirmgrösse und vorallem auch die zur Verfügung stehende Rechenpower. All das musste nun in Betracht gezogen werden. Ein Spiel fand nicht mehr im „goldenen“ Hardwarekäfig einer Playstation statt oder eines Gamecubes. Die Vermarktungsketten für Hardwarenahespiele standen schon und das Publikum/Käufer* waren vorhanden. Es ist vermutlich auch konsequent, dass auch 1997 dann Unreal Tournament rauskommt, dass für 3D voll auf Hardware setzt und damit sehr erfolgreich ist. Hier wurde eine existierende Kultur weitergeführt. Aber es wurde auch demonstriert, dass Webgames und ihre Technologie nie leistungsfähig genug sein könnte für die Technologiefreaks. (Dies änderte sich erst viel später mit der Einführung von WebGL zumindest dafür, dass nun auch auf Browsern und Handhelds wenigstens 3D schneller möglich war.)
Im Web: Nichts war hier sicher. Und vorallem liessen sich diese Welten nicht besonders gut schützen, anders als die Plattformholders, die den Zugang zu ihren Welten Copyright-technisch schon gesichert hatten. Im Web war alles unklar. Die Masse verlangte auch Offenheit! Ein Ruf der im Gameuniversum selten zu finden ist.
Es war aber eben auch ein schwieriger Bereich, um hier Geld zu verdienen. Wie soll abgerechnet werden? In diesen Zeiten sind die Kreditkartenverträge schwierig und Abrechnungsanbindungen nicht wirklich standardisiert. Andere Wege mit Werbung etwa Geld zu verdienen ist auch nicht besonders erfolgreich, da die grosse Masse vor 2000 im Netz noch fehlt. Die Standalone Webspiele hingegen wurden eher als Werbetools für Webseiten benutzt, als Zusatzcontent.
Es entstanden auch immer mehr Sammlungen von Minispielen, die früher die Casual Games abdeckten. Warum sollte man hier bezahlen, wenn es das Spielkonzept gratis gab. Und die neuen Nutzer waren auch nicht an die Fancy-Spielweltengames gewöhnt. Sie wollten nur einfach Spielen, Aussehen nicht so wichtig.
IndieWebgames und Experimente
Dennoch entstanden viele Spiele vorallem in Flash und ein ganzer Indiebereich entwickelte sich hier. Auch wurden andere visuelle Ansprüche gestellt (es waren auch andere Leute, die den Job machten) an die Spiele. Es gab immer beides: Laiengrafik und Designergrafiken. Es fehlten dann aber oft auch die klassischen visuellen Welten der professionellen Games.
Es entstanden auch immer mehr Sammlungen von Minispielen, die früher die Casual Games abdeckten. Diese richteten sich an eine andere Clientel als die klassischen Gamer mit ihren Genren und Vorlieben. Das hier war eher die Ikea des Gamings.
Und: Standalone Webspiele gab es noch und noch, etwas was im klassischen Gamebereich eher selten vorkommt.
Web2.0 Games
Der Trend von Web 2.0 Games (so wenige es gab) blieb in dieser Zeit auch eher marginal.
Siehe dazu auch die Diskussion hier: https://research.swissdigitization.ch/?p=7020


Verlust JavaApplets
Dabei ist vorallem der Abstieg von JavaApplets zu bedauern, da dies ein eigenes Programmierspielparadigma war und doch interessant war damit zu arbeiten. Leider zerstöre Microsoft gekonnt die Appletverbreitung, indem es nie die neuste Version default-mässig installierte in ihren InternetExplorer.
Fazit
Auf dem Web vollzog sich eine Virtualisierung auf fast allen Ebenen der technischen Gametechnologie: Sei es in der Auflösung, der Rechenleistung, der Nutzung der Hardware. Alles war hier nun nicht mehr hardwareabhängig – es waren nun Virtuelle Maschinen. Dazu kommt noch eine massive Nutzung von Datenbankinhalten vs. festgeschriebenen Daten in klassischen Games.
Selbst grafisch waren die Einflüsse von der normalen Designkultur riesig und lösten damit auch einen Teil des Inseldaseins der klassischen mainstream Gamekultur auf zumindest auf dem Web.
Das sind alles Dinge, die in der klassischen Gameindustrie viel später, wenn überhaupt stattgefunden haben.
Interessant
Interessant ist sicherlich hier auch das Projekt ClickOMania von Schüssler, das ein CasualGame ist von Schüssler. Siehe dazu auch hier: https://www.vintagecomputing.ch/?browseid=3944

ToDo
Abgleich mit der CHLudens Datenbank