Die nachfolgenden Überlegungen beziehen sich auf Forschungsprojekte der letzten 19 Jahre, die interdisziplinär waren und von der Entwicklung von Rehab-Spielen, Wassermangement bis zur historischen Aufarbeitung von Computerspielen reichen. Bei allen Projekten hat der Autor in verschiedenen Funktionen mitgewirkt oder wirkt mit. Der Umfang reicht von Kulturwissenschaften bis hin zu angewandter technologischer Forschung. Der finanzielle Gesamtumfang lag dabei von über 50k bis Millionen.
Magic Circle – Forschunsprojekt
Forschungsprojekt sind letztlich Magic Circles oder systemtheoretisch eigene Systeme in anderen Systemen. Wobei im Fall von interdisziplinären Forschungsprojekten das Problem darin liegt, dass die Institutionen, die mitmachen, wie auch die Forscher* darin, gesellschaftlich hierarchisch zu Teilsystemen gehören, aber im Fall des Interdisziplinären Forschungsprojekt quer zu den gesellschaftlich etablierten Systemen zusammenarbeiten oder zusammenarbeiten müssen (Wie viele Phd Studierende* waren schon in zweiten nicht gewollten Projekten?).
Im besten Fall entsteht also meist temporär etwas Neues, das weder zum einen noch zum anderen gehört. Die Mitglieder eines solchen Forschungsprojektes sind also meist systemisch mehrfach verortet. Dies verstärkt in interdisziplinären Forschungprojekten die schon vorhandenen Zentrifugalkräfte von Forschungsprojekten (Temporalität, institutionelle Interessen, Eigeninteressen) zusätzlich. Anders gesagt, es wird hier in verschiedensten Zusammenhängen und verschiedensten Frameworks, verschiedensten Bürokratien, verschiedensten Denkmustern, verschiedensten Philosophien ‚abgerechnet‘.
Commitments, Regeln von interdisziplinären Forschungsprojekten
Im besten Fall ist ein Forschungsprojekt eine eigene Scientific Community zu einem sehr spezifischen Thema. Dies ist im Falle von interdisziplinärer Forschung umso mehr der Fall, als das es hier um etwas geht, was sonst nicht so verhandelt wird oder nur am Rande in den Disziplinen vorkommt. Im besten Fall entsteht auch ein neues eigenes Feld mit entsprechenden Institutionen.
Ein Forschungsprojekt hat als erstes das Ziel Wissen zu generieren (wobei natürlich auch Wissen in Form von Netzwerk entsteht). Dieses Wissen wird erarbeitet, erschlossen, per gefundenen / erschaffenen Artefakten, Experimenten erstellt. Das so neu geschaffene Wissen ist gerade in einem interdisziplinären Projekt vielfach eine Leistung der Gruppe, die anders nicht exisitieren würde.
Diese Art des Verständnis ist eine Grundbedingung, dass interdisziplinäres Arbeiten überhaupt möglich ist. Es ist das Committment, das eigentlich jede* Beteiligte* eingeht – auch wenn dies leider allzu oft nicht verbalisiert oder institutionalisiert wird.
Aus diesen Gründen gibt es dann auch oft grosse Diskussionen und Auseinandersetzungen etwa um die Verwertungsrechte allgemein, aber auch in den spezifischen Einzeldisziplinen.
Community und Motivationsmechanik
In vielen interdisziplinären Forschungszusammenhängen funktioniert dies einigermassen, da die einzelnen Disziplinen weiterhin schön getrennt arbeiten und damit problematische Zusammenstösse vermieden werden.
Die (inhärenten) Probleme tauchen aber mit schöner logischerweise Regelmässigkeit auf, wenn es um das gemeinsam erarbeitete Wissen und deren Verwertung geht. Oder gar wenn Teile verschiedene Arten von Information Dissamination betreiben (Veröffentlichungen, Papers, Vorträge).
Gemeinsam erarbeitete Fakten sind eigentlich das zentrale Element von interdisziplinärer Zusammenarbeit und auch ihr grösster Weakpoint. Sobald es in der Community Teilnehmer* gibt, die anfangen sich als Freerider* zu bedienen ohne Gegenleistung bricht das System zusammen. Denn der Deal ‚wir arbeiten an was Gemeinsamen‘ wird obsolet. Die Frage steht im Raum: Warum soll ich teilen, wenn mein erarbeitetes Wissen abgezogen wird? Oder anders gesagt, wenn jemand anders mit gemeinsamen Wissen sich persönlich in einer Kapitalie bereichert auf Kosten des Projekts oder sogar des Individuums? (Eine Motivationsfrage, die über kurz oder lang bei allen Projekten aufkam, bei denen eine Hauptmotivation ‚wissenschaftliche Verwertung war.)
Dies ist der Moment, wo die Community und der Magic Circle zerbricht und das Projekt in Einzelteile zerfällt. Und das natürlich zu recht. Dies trifft im Besondern auf Projekte zu, die nicht reine Forschung betreibt – sondern auch noch das Ziel haben Forschungsausbildung zu sein. Leider fördert hier meiner Meinung nach der SNF indirekt diese Problematik (Diskriminierung durch keine Anstellungsprozenzte für Antragsteller* im Projekt, Festhalten am Universitären Modell von Forschung (Professor*stellen im Mittelpunkt und Vermischung von Funktionen), wie auch Anforderungen an PhD Stellen in einem Teil der Gesuche.).
Rollen, Kapitalisierung
Die verschiedenen Rollen gerade in motivationstechnischen heterogenen Forschungsgruppen müssen diskutiert werden. Dazu gehört auch die Kapitalisierung der verschiedenen Rollen und Möglichkeiten.
Ein Phd-Studierender* hat eine ganz andere Stellung im System und Abhängigkeit oder Forschende ohne Qualifikationsdruck. Den Ersteren geht es darum, etwas schriftlich Konsistentes im Umfang einer Dissertation zu erarbeiten – was mit einem Titel belohnt wird, die Zweiteren können sich ein möglichst frühes Publizieren erlauben oder sogar leisten, andere können publizieren, weil sie sowieso fürs Forschen bezahlt sind. Wieder andere arbeiten anders. Hier trifft auch eine Vielfalt von Teilhabe an der Scientific Community aufeinander.
Anders gesagt, wer wird in welchen Kapitalien (Bourdieu: Monitär, symbolisch etc) wie bezahlt in diesem Projekt. Wer arbeitet darüber hinaus an eigenen Kapitalisierungen. Wie wird eingezahlt auf das Kapital des Projektes? Es reicht hier meist nicht einfach sich darauf zu verlassen, dass das schon gut geht. Denn eines ist klar: Wenn es nur irgendwo anfängt zu bröckeln, dann bröckelt das System – weil seine Regeln bröckelt. Und deswegen sollte man sich keine Illusionen machen, die Abgeltung muss ganz konkret geregelt sein. Und dies zeigen die allermeisten Projekte leider mehr oder minder krass. Wobei die meisten Projekte nie öffentlich mit einem PostMortem ins Wissen der Praxis der Forschung eingehen, weil auch hier die Sieger* die Geschichte schreiben. Aber die Erfahrung zeigt, man* kämpft am Ende öfters mit Institutionen, die sehr freedridig unterwegs sind und auch die allgemeine Motivation schwindet, solche Forschungsprojekte überhaupt zu machen.
Massnahmen: Von der Dokumentation bis zur Nennung
Da leider bis heute ein Grossteil der Anerkennung in der weltweiten Scientific Community (nach den Anstellungen) die Artikel/Bücher und deren (symbolisches?) Kapital ist und eingebettet damit die Autorschaft, ist dieser Bereich besonders wichtig.
Hier gilt es gerade in interdisziplinären Zusammenhängen wirklich alle zu nennen von den Bauern* von Experimentaleinrichtungen, den Findern* von Artefakten, den Mitarbeitern im Allgemeinen bis zu den üblichen Verdächtigen. Leider hat allerdings hier auch eingerissen, dass alle diese Beteiligte* am Text beteiligt sein müssen, um genannt zu werden (Viele Verlage regeln das heute so).* Eine eigentlich anti-disziplinäre Haltung, da gerade in interdisziplinären Projekten es eben um alles das geht. Es geht um diesen Zusammenhang, ohne den es nicht geht. Eine interdisziplinäre Forschungsgemeinschaft ist auch das). Wer die Verwertungen am gemeinsamen Gut nicht kenntlich macht, hintergeht letztlich die Idee von interdisziplinären Projekten und ist wissenschaftlich nicht transparent. Es ist klassisches Freerider*verhalten und beutet es aus. Und so entstehen als Massnahme in interdisziplinären Forschungprojekten dann meist auch Untercommunities, die sich versuchen an ihre Regeln zu halten. Communities deren Magic Circle meist auch gemeinsame Werte enthalten und praktizieren.
In diesem Sinn sind interdisziplinäre Forschungsprojekte und deren Verwertung eigentlich nicht laxer zu handhaben sondern strenger, denn die Unwahrscheinlichkeit des Gelingens hängt massiv von der Fairness im Projekt ab. Und wer meint, dass das immer alles so ‚fair‘ abging, sollte nochmals detailiert seine Forschungsprojekte durchschauen. Es ist unwahrscheinlich auch in der Forschung, dass sie fair gelingt.
* Der Hintergrund sind natürlich die Verfehlungen der Scientific Community, wo sich Leute ohne jeden Bezug auf die Papers setzen liessen. Dabei ist auch hier wieder die Frage, ob nicht die Finanzierung auch ein Teil des Projektes ist. Was aber dann sich ja in der Rangierung der Nennungen äusseren könnte.